Die Magnesium Story – Mg in der Schwangerschaft
Durch Zufall wurde die Wirkung von Magnesium bei vorzeitigen Wehen gefunden. Spätling führte viele Untersuchungen durch, um diese Beobachtung einzuordnen.
Gabis erste Schwangerschaft

Gabi mit Julia
Öffnet man neugierig eine Tür, so findet man dahinter viele verschlossene Türen, die es wieder zu öffnen gilt. Das war wohl so ein Moment, als meine Frau Gabi mit unserer Julia schwanger war.
Mit vielleicht 28 Schwangerschaftswochen litt Gabi eines Morgens unter Wehen. Zwischen Wehen und Kontraktionen der Gebärmutter wurde in dieser Zeit noch nicht unterschieden. Also suchten wir Hans-Jürgen Holländer auf, der 1974 der Chef der Frauenklinik im St. Johannes-Hospital in Duisburg-Hamborn war. (Zur besseren Lesbarkeit verzichte ich auf die Nennung akademischer Grade in diesem Beitrag.) Ich absolvierte gerade meine Medizinalassistentenzeit in der Inneren Medizin und der Chirurgie in Hamborn, bevor es für die Frauenheilkunde wieder nach Marburg gehen sollte. Hans-Jürgen Holländer hatte gerade seinen Atlas über das erste klinisch praktikable Ultraschallgerät, das „Vidoson“ von Siemens fertiggestellt. Es war der Anfang, als man begann, Strukturen im „Schneegestöber“ der Signale zu vermessen. Es gab auch einen ersten Kardiotokographie-Apparat. Bis man da das Herzsignal fand, hat es gedauert. Zudem wurde ein klobiger Wehentransducer mit groben Gurten auf dem Bauch fixiert. Die ganze Anlegemanipulation hat zudem noch Kontraktionen ausgelöst, zumindest bei meiner Gabi,
Gefährliche Therapie vorzeitiger Wehen
Ein ganz neues Medikament gäbe es jetzt, mit dem man Wehen hemmen könnte. TH1165a hieß es und wurde von Böhringer-Ingelheim hergestellt. Es würde sich vom Adrenalin ableiten und mache auch entsprechende Wirkungen und natürlich auch Nebenwirkungen. An erster Stelle Herzklopfen. Die richtige Zulassung von TH1165a stand noch aus. Sonst hätte es auch einen richtigen Namen gehabt.
Wie wurde dosiert? Elektronische Tropfenzähler gab es noch nicht. Also zählte man die Tropfen pro Minute und regulierte z.B. acht Tropfen pro Minute mit einem Rädchen, das den Infusionsschlauch quetschte und so den Durchfluss behinderte. Stündlich erschien die Schwester, um zu kontrollieren. Tag und Nacht. Nun lag eines nachts Gabi auf dem Arm, an dem die Infusion angelegt war und das Medikament floss entsprechend langsam. Die Nachtschwester stellte das Rädchen wieder so ein, bis wieder acht Tropfen pro Minute flossen. Auch Gabi schlief nicht immer auf derselben Seite, drehte sich und gab so den Durchfluss frei. In kürzester Zeit war die Flasche leergelaufen und Gabi ging es sehr sehr schlecht. Das man an so etwas sterben kann, habe ich erst später gelernt. Noch lange nach der Geburt hatte sie Perioden von langsamem Herzschlag und ein Gefühl, als ob ihre Zunge in den Hals fiel. Gott sei Dank hat sie es überlebt. Neben dem Kinderbettchen hätte sie gesessen und große Angst gehabt zu sterben und dass Julia ohne Mutter groß werden müsse. Acht Wochen hatte sie diese Infusionen. Von Woche zu Woche wurden auch die Haare A[1] auf der gesamten Haut länger und länger. Sie sähe aus, wie ein Affe. – Aber für mich war das ein Stimulus, nicht jede Therapie zu akzeptieren. Wir Ärzte hatten doch das Ziel, die Patienten zu heilen, nicht sie umzubringen. Unsere Julia kam dann mit 38 Wochen auf die Welt, war etwas zart, aber gesund.
Gabis zweite Schwangerschaft
Nach der Medizinalassistentenzeit bekam ich in der Frauenklinik in Marburg eine Assistentenstelle. Wir zogen also von Duisburg nach Marburg und „übten“ für eine zweite Schwangerschaft. Kaum hatte ich die Stelle angetreten, erhielt ich die Einberufung zum Wehrdienst. Ich legte Einspruch ein. In einer einstweiligen Verfügung bewertete das Gericht das Interesse des Staates an meiner Person höher als mein eigenes Interesse an einer behinderten wissenschaftlichen Laufbahn. Vier Wochen von dem Ende meiner Wehrdienstzeit erging das gleichlautende Urteil nach meiner Klage gegen die Einberufung. Mit einiger Verzweiflung versuchte ich meine Perfusionsexperimente, die ich bisher an Eierstöcken „von Mensch und Rind“ gemacht hatte, mit Rattenplazenten weiterzuführen. Zum Labor und Tierstall hatte ich weiterhin Zugang und auch mein Dienstzimmer in der Frauenklinik durfte ich behalten. Für die Zukunft habe ich aus den Rattenversuchen während dieser Zeit gelernt, wie man experimentelle Wissenschaft nicht machen darf.
Nach Beendigung des Wehrdienstes konnte ich gleich wieder in der Frauenklinik arbeiten. Gabi und ich ließen den Plan einer zweiten Schwangerschaft Wirklichkeit werden. Wieder setzten mit ca. 28 Schwangerschaftswochen vorzeitige „Wehen“ ein, wieder gab es das Betamimetikum zur Wehenhemmung, was in der Zwischenzeit zugelassen war und jetzt Fenoterol mit generischem Namen und Partusisten mit Handelsnamen hieß. Wieder sprossen die Haare auf der gesamten Haut. Das war der Startschuss für die Suche nach der Ursache für den vermehrten Haarwuchs. Die Partusisten-Herstellerfirma finanzierte mir die Analysen androider Hormone bei allen Frauen, die ebenfalls unter Partusisten einen vermehrten Haarwuchs zeigten (siehe Fußnote 1 A). Nun sank bei Gabi auch noch der Hämoglobinwert erheblich. Und da ich die gleiche Blutgruppe hatte und sie partout nicht ins Krankenhaus wollte (und wegen Julia auch schlecht konnte), transfundierte ich ihr zu Hause mein Blut. In die Klinik musste sie dann aber doch, denn die Fruchtblase sprang so mit ca. 30 Wochen, mitten im Wohnzimmer lief das Fruchtwasser ihr die Beine hinunter. Da ja liegend transportiert werden musste, kamen die Sanitäter und brachten Gabi in die Marburger Frauenklinik. Ich weiß es noch wie heute, dass Frau Schulze, die den Oberarztdienst hatte, auf dem Morgenrapport berichtete. „Gestern Abend ist Frau Spätling mit einem angeblichen Blasensprung gekommen.“ Manchmal läuft halt kein Fruchtwasser weiter ab, wenn sich die Fruchtblase wieder stellt und sich die Membranen übereinanderlegen und den Riss in dem Fruchtsack wieder abdichten. Oder es ist das gesamte Fruchtwasser abgeflossen, so dass kein Fruchtwasserabgang mehr beobachtet werden kann. Eine Ultraschalluntersuchung durchzuführen, war zu dieser Zeit noch nicht möglich. Was habe ich mich über die Äußerung dieser Oberärztin geärgert. Einer Patientin wird nicht geglaubt. Und als ob ich als Assistenzarzt der Geburtshilfe und Frauenheilkunde nicht Fruchtwasser von Urin unterscheiden könnte. Farbe und Geruch sind eindeutig.
Wer sollte sich nun um Julia kümmern? Eltern und Schwiegereltern waren in Duisburg und unabkömmlich. So brachte ich Julia zu unseren Freunden Karla und Uli Baum nach Ingelfingen. Dort gab es den fast gleichaltrigen Christoph. Karla und Uli nahmen Julia gern. Jetzt bekam Gabi Partusisten wieder intravenös, allerdings diesmal mit einem elektronischen Tropfenzähler. Dann kam Weihnachten. Ich holte Julia in Ingelfingen ab, brachte sie auf mein Dienstzimmer, wo ich schon einen Baum geschmückt hatte. Holte dann Gabi mit einer Trage vom Krankenzimmer ab und wir feierten gemeinsam Weihnachten 1976. – Von Magnesium noch keine Spur.
Magnesium und Gabis dritte Schwangerschaft
An sich wollten wir gerne noch ein drittes Kind. Aber mit dieser Krankengeschichte trauen wir uns nicht an die Realisation. Zufälle können manchmal helfen. Gabis Schwester Christiane wurde zu ihrem Examen als Lehrerin schwanger. Wir konnten sie und ihren Mann motivieren, für die Zeit ihrer Schwangerschaft zu uns nach Wenkbach zu ziehen. In den Vorort von Marburg waren wir in der Zwischenzeit gezogen und hatten dort viel Platz. So konnten wir doch an die Realisation der dritten Schwangerschaft denken. Für den sehr wahrscheinlichen Fall wieder auftretender Komplikationen hatten wir dann jemanden, der sich um Julia und die zwischenzeitlich geborene Caroline kümmern konnte. Schwangerschaften zu beginnen war für Gabi nicht schwer und so war Philipp bald unterwegs. Nicht, dass ich es vergesse, zwei sehr frühe Aborte hatte Gabi während der Zeit, als sie noch als Ki.Kr.Schw. (so stand es für Kinderkrankenschwester auf dem Namensschild) in der Kinderklinik Marburg arbeitete.
Nun also die dritte Schwangerschaft. Bis zu ca. 28 Wochen blieb alles ruhig. Dann traten die Kontraktionen wieder auf. Immer noch mit den Gedanken an die Nebenwirkungen von Partusisten suchte ich nach Möglichkeiten die Dosis zu reduzieren. Ich hatte die Beobachtung gemacht, dass die Kontraktionshäufigkeit bei den Schwangeren mit vorzeitigen Wehen nicht gleichmäßig über den Tag verteilt war. Da nach Einnahme einer Partusisten-Tablette, das Herzklopfen als Indikator der Wirkung zügig eintrat, so auch für die Wirkung am Uterus, wollte ich die Tabletten nur zu den Zeitpunkten mit der größten Kontraktionshäufigkeit geben. Deshalb bat ich alle Patientinnen einen Zettel auszufüllen, den wir „Tageswehenplan“ nannten. Hier wurde für jede gefühlte Kontraktion ein Strich in ein Zeitkästchen gezeichnet. Es stellte sich bei fast allen Patientinnen eine Art circadianes Muster dar. Nach der Häufigkeit habe ich dann die Dosierung festgelegt. So füllte auch Gabi diesen „Tageswehenplan“ aus.
Als ob die vorzeitigen Wehen nicht reichten, bekam Gabi auf einmal noch Wadenkrämpfe. Welche Substanz war nun ungefährlich für die Schwangeren und die Feten, um Wadenkrämpfe zu behandeln. Ich brauchte keine lange Literaturrecherche. Ich stieß gleich auf Magnesium. Überdosierungen waren bei oraler Einnahme kaum möglich. Ein weicher Stuhl war bei den Patientinnen manchmal auch erwünscht. Der Apotheker in der Apotheke am Pilgrimstein gegenüber der Frauenklinik gab mir ein Magnesiumpräparat, das er üblicherweise bei Wadenkrämpfen verkaufte. Schon einige Stunden nach der Einnahme waren die Wadenkrämpfe verschwunden. Aber auch
die Kontraktionen waren so gut wie verschwunden. Das zeigte sich auch im „Tageswehenplan“ eindrucksvoll. Da wir mit der Reduzierung der Wehenfrequenz nicht gerechnet hatten, musste das Verschwinden der vorzeitigen Wehen auf die Einnahme von Magnesium zurückzuführen sein. Mehr als ein echter Heureka-Effekt.
Auf dem Weg nach Zürich
Wie sollten wir mit dieser Beobachtung umgehen? Über Magnesium war in der Medizin so gut wie nichts bekannt. In der Geburtshilfe behandelte man Eklampsien mit sehr hohen Dosen Magnesium intravenös. Mit vorzeitigen Wehen und Magnesium war bisher kein Zusammenhang publiziert worden. Bei Kühen war die Weidetetanie beschrieben, wenn im Frühjahr das Gras zu wenig Magnesium hatte. Auch konnte man Magnesium auch gar nicht genau im Serum bestimmen. In der medizinischen Klinik in Marburg gab es einen Oberarzt, der hatte von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Atomabsobtionphotospektometer zu Verfügung gestellt bekommen. Mit dem konnte man Magnesium im Serum analysieren. Es war aber kaum möglich, diese Bestimmung in unsere Routineblutuntersuchungen aufzunehmen. Der Kollege verfügte auch über eine kaum wahrnehmbare Bereitschaft, die Untersuchungen für uns zu machen.
Wirkte das auch bei anderen Patientinnen mit vorzeitigen Wehen? Deshalb gaben wir zu der üblichen Tokolyse mit Partusisten zusätzlich Magnesium. Es war eindrucksvoll zu sehen, dass fast alle Patientinnen von einer intravenösen Partusisten-Therapie auf eine orale umgestellt werden konnten.

Albert Huch
Diese Ergebnisse hatte ich noch an der Frauenklinik in Marburg gewonnen. 1980 zogen wir nach Zürich. Albert Huch und seine Frau Renate hatten schon recht viel in dem sich neu entwickelnden Fach Perinatologie geforscht. Mit ihrer transcutanen Messung von Sauerstoff bei Neugeborenen waren sie bekannt geworden. Gabriel Duc war Chef der Kinderklinik in Zürich und wollte den Bereich der Perinatologie am Universitätsspital entwickeln. Deshalb setzte er sich dafür ein, dass der Lehrstuhl für die Frauenklinik in einen für Gynäkologie und einen für Geburtshilfe geteilt wurde. Der bisherige Chef der Frauenklinik Werner Schreiner war darüber sehr sauer, was ich da später auch deutlich merkte B.[1] Nun wurde der Lehrstuhl geteilt und Albert Huch konnte nach Zürich, um dort die Klinik für Geburtshilfe aufzubauen. Für ein einzurichtendes „Perinatalphysiologisches Labor“ hatte man ihm großzügig bemessene Flächen zur Verfügung gestellt. Die mussten gefüllt werden. Natürlich ging seine Frau Renate mit, die als Physiologin das Labor leiten sollte. Auch Henning Schneider, der zuvor mit seiner Plazentaperfusion aus New York nach Marburg in mein Ovarperfusionslabor gekommen war, sollte Oberarzt werden und dort forschen. Wir selbst waren zu dem Zeitpunkt schon lange genug in Marburg, unsere drei Kinder waren geboren und so hat meine Gabi das Angebot, als Postdoktorand nach Zürich zu kommen, sehr unterstützt. Ich schloss die operative Ausbildung zum Frauenarzt in Marburg ab und wir folgten den Huchs nach Zürich.

Renate Huch
Dort half ich Henning Schneider bei der Plazentaperfusion und widmete mich aber auch gleich der Auswertung meiner Resultate der Magnesiumzusatztherapie. 1981 konnten die Ergebnisse publiziert werden. Nun nahm diese Geschichte Fahrt auf. Viele Untersuchungen wurden gestartet, nicht nur in der eigenen Klinik. Viele begannen ebenfalls mit Magnesium und vorzeitigen Wehen Erfahrungen zu sammeln.
Ich hatte recherchiert: Magnesium-Aspartat-Hydrochlorid der Verla Pharm war das bestuntersuchte Magnesiumsalz und so habe ich dieses Salz für meine Untersuchungen genutzt. Joachim Helbig war der Leiter der wissenschaftlichen Abteilung dieses Unternehmens. Er zeigte mir die graphische Darstellung der Verkaufszahlen, die er in seinem Büro an die Wand gemalt hatte. Mehrmals musste er schon im ersten Jahr den Maßstab korrigieren. Der Umsatz ging im wahrsten Sinne des Wortes durch die Decke. Für meine Arbeit war der Erfolg nicht das Schlechteste. Huchs verhandelten mit der Firma und ich bekam einen Computer. So hatte ich sehr früh einen tollen PC für meine Auswertungen. Die PCs waren damals echt teuer. Und auch bei späteren Untersuchungen war die Zusammenarbeit mit Verla Pharm von gegenseitigem Nutzen. Aber dazu später.
Fundamente für unsere Beobachtung
Wenn man sich vorstellt, dass bei vielen Stoffwechselschritten Magnesium notwendig war, man aber in der klinischen Medizin kaum etwas über Magnesium wusste, war es notwendig, soviel wie möglich über die Ursachen unserer Beobachtung zu erfahren. Also begannen wir zunächst die Elektrolyte im Serum während unserer Therapie zu untersuchen. Auch war es notwendig zu zeigen, dass die Gabe von Magnesium ungefährlich war. Wir behandelten ja schließlich werdende Mütter mit ihren ungeborenen Kindern. Außerdem wollten wir unter allen umständen ein Strohfeuer unserer Beobachtung in der geburtshilflichen Therapie vermeiden. Dieses drohte, da auf einmal Magnesium für und gegen alles gut sein sollte.
Es stellten sich folgende Fragen: Wie sind denn überhaupt die Normalwerte in der Schwangerschaft? Kann man von einer Bestimmung von Magnesium im Blut auf das Auftreten von vorzeitigen Wehen schließen? Wie verhält sich der Magnesiumserumspiegel im Verlauf der Schwangerschaft? Bleibt Magnesium als intrazelluläres Ion in der Uterusmuskulatur im Verlauf der Schwangerschaft konstant? Und wenn es zu einer Verringerung des Magnesiumspiegels im Myometrium und im Serum kommt, woran liegt das? Was könnte die Ursache des Magnesiummangels sein und warum leiden nicht alle Schwangeren an einem Mangel?
Magnesium im Myometrium

Hans-Georg Classen
Gut, dass ich in Zürich war. Hier gab es Institute, die die notwendigen Analysen durchführen konnten. So fand ich im Institut für Biochemie der ETH, der Eidgenössischen Technischen Hochschule, in Zürich, den Biochemiker Peter Kunz, der sich bereiterklärte, die Gewebeuntersuchungen zu machen. Wissenschaftler, die uns dabei beraten konnten, fanden wir in der „Gesellschaft für Magnesiumforschung“, die einige Jahre zuvor von Hans-Georg Classen in Hohenheim gegründet worden war. Dort klärte uns Theo Günther, der Chef des Institutes für Molekularbiologie und Biochemie der Freien Universität Berlin auf, wie schwierig es ist, intrazelluläres Magnesium zu bestimmen. Aber wir schafften das. Bei ca.100 Kaiserschnitten nahmen wir ein Kubikzentimeter großes Gewebestück aus der „Uterotomie“ und dazu die entsprechenden Blutproben. Sowohl bei Frauen mit Kaiserschnitten zu früh geborener Kinder, als auch um den Termin. Dass die Logistik der Probenentnahme gut klappte, habe ich durch ein kleines Erlebnis gesehen. Ich hatte die Untersuchungsreihe beendet, aber noch nicht jeder hatte das realisiert. Bei einer Sektio wurde ich von einer jungen Hebamme angepfiffen, dass ich doch noch gefälligst eine Gewebeprobe zu entnehmen hätte. So konnte ich davon ausgehen, dass die Entnahmen bei allen Kaiserschnitten durchgeführt wurden. Also was haben wir gefunden? Tatsächlich sinkt der Magnesiumspiegel im Gewebe parallel zum Serum. Wer Interesse an den genaueren Daten hat, aber auch an den anderen erwähnten Arbeiten, findet die entsprechenden Publikationen auf meiner Website spaetling.net. Das seltene Zusammentreffen von vorzeitigen Wehen und Kaiserschnitt machte es unmöglich nachzuweisen, dass bei Frühgeburten der Magnesiumgehalt im Gebärmuttergewebe zusätzlich erniedrigt war.
Warum ist Magnesium in der Schwangerschaft erniedrigt?

Lungenfunktionslabor
Meine Habilitationsarbeit befasste sich mit der Frage, wie sich im Verlauf der Schwangerschaft Lungen- und Herzfunktion in Ruhe und bei Arbeit C[1] veränderten. Und so kamen gut motivierte Schwangere in vierzehntägigen Abständen ins Lungenfunktionslabor, das wir im „Perinatalphysiologischen Labor“ eingerichtet hatten. Meine Probandinnen fragte ich, ob sie mir nicht jedes Mal etwas Blut und Urin spendieren könnten. Und so konnten wir feststellen, dass sich tatsächlich im Verlauf der Schwangerschaft die Magnesiumausscheidung erhöht. Sie sinkt sofort nach der Entbindung wieder. Wie sollten wir das erklären? Man weiß, dass parallel mit der Herzfrequenz auch das Herzminutenvolumen steigt. Und parallel Herzminutenvolumen wird Primärharn gebildet, mit einer Menge von Elektrolyten. Damit es nicht zu Schäden kommt, muss ein Großteil der Elektrolyte rückresobiert werden. Nun liegt die Stelle, an der die großen Mengen Natrium rückresorbiert werden, genau an derselben Stelle, wie der Resorptionsort für Magnesium. Natrium ist für das Überleben aber wichtiger als Magnesium. Die Rückresorption von Magnesium wird so behindert und Magnesium erscheint vermehrt im Urin. Magnesium wird also in der Schwangerschaft vermehrt ausgeschieden, obwohl die werdende Mutter für ihr Kind und für sich selbst mehr Magnesium braucht. Die Frauen, deren Magnesiumaufnahme resp. Resorption gerade einmal so ausreicht, kommen dadurch in einen Magnesiummangel.
Das ist wohl eine kleine Nachlässigkeit der Evolution. Sie kann ja nicht an alles denken.
Der Doppelblind-Krimi
Die ganze Zeit musste ich daran denken: Wir können noch so viele Untersuchungen zur Wirkung von Magnesium in der Schwangerschaft machen, gelingt uns dazu keine saubere klinische Studie, wird die segensreiche Wirkung von Magnesium auf die Schwangerschaft vielen Frauen vorenthalten bleiben.
Also planten wir eine prospektive randomisierte Doppelblindstudie. Anfang der 80ger Jahre hatte sich die klinische Wissenschaftswelt noch nicht auf die (GCP) Good Clinical Practice Richtlinien festgelegt und so suchte ich in Zürich jemanden, der mich bei der Planung der Studie beraten könnte. Zu diesem Zwecke gab es ein kleines Statistikinstitut. Die Frage des Placeboinhaltes war zügig geklärt. Wenn wir als wirksame Substanz Magnesium-Aspartat-Hydrochlorid nehmen wollten, bot sich Asparaginsäure als Placebo an. Wenn wir möglichst viele, mehrere hundert Patientinnen in die Studie aufnehmen wollten, bot sich unsere Poliklinik an. Aber wie sollten wir die Verteilung der ungeheuren Menge an Tabletten logistisch organisieren? So kam der Vorschlag, eine Charge z.B. 85 zu fertigen, die alle Frauen mit einem ungeraden Geburtstag bekommen sollten und eine Charge 84 für die mit geraden Geburtstagen. Nur die Herstellerfirma, also die Verla Pharm sollte wissen, welche von beiden Chargen Magnesium enthält. So machten wir es dann, eine im Nachherein schlechte Entscheidung.
Bis wir eine ausreichende Anzahl von Frauen in die Studie aufnehmen konnten, dauerte es. Es war auch nicht immer leicht Ärztinnen und Ärzte in der Poliklinik zu motivieren, die Patientinnen aufzunehmen. Man darf nicht vergessen, dass ich ja Deutscher war und zum Oberarzt ernannt wurde, eine Position, die der ein oder andere Schweizer auch gerne gehabt hätte. Aber eine konstante Forschung war mit den Schweizern zu dem Zeitpunkt nicht zu machen. Kurz nach der klinischen Qualifikation ließen sie sich als Belegarzt mit einer lukrativen operativen Tätigkeit nieder, z.B. im „Hirslanden“ einer dafür bekannten zürcher Privatklinik.
Auswertung der Doppelblindstudie
Es dauerte natürlich auch länger, weil alle Teilnehmerinnen ja noch ihre Kinder auf die Welt bringen mussten. Danach erst wurden die Krankengeschichten ausgewertet. Das übernahm meine Gabi, die aus ihren Erlebnissen sehr motiviert war. Sie hatte die Wirkung des Magnesiums ja am eigenen Leibe erfahren. Die ausgefüllten Datenblätter wurden in eine Eingabemaske getippt und die Daten danach von Falk Fallenstein ausgewertet, dem Physiker im Perinatalphysiologischen Labor. Er kam später mit nach Herne in meine Forschungsabteilung.

Falk Fallenstein
Die Ergebnisse waren eindrucksvoll. Womit wir überhaupt nicht gerechnet hatten: es gab neben dem Zahlen zur Schwangerschaftsverlängerung signifikant weniger Blutungen in der Frühschwangerschaft und Cervixinsuffizienz. Dazu kannten wir keine veröffentlichen Untersuchungen. In unserer Studie starteten wir ja die Magnesiumgabe so früh wie möglich und nicht später als mit 16 Wochen. So wurde auch die frühe Schwangerschaft erfasst, in der diese Störungen vermehrt gesehen werden. Diese Beobachtung hat nicht zu einer offiziellen Empfehlung geführt. Ich rate auf jeden Fall, Magnesium immer vom positiven Schwangerschaftstest an in ausreichender Menge zu verordnen.
Die Anzahl der Geburten unter 37 Wochen war wohl nicht signifikant geringer, aber in der Placebogruppe musste ein Drittel mehr Frauen hospitalisiert werden. Die Diagnosen Blutungen, Zervixinsuffizienz und vorzeitige Wehen wurden signifikant häufiger gestellt. Die Anzahl der kleinen Frühchen, die auf in der Neonatologischen Abteilung behandelt werden mussten, war nach Magnesium deutlich geringer. Sie waren fitter als die ohne eine Magnesiumschwangerschaft.
Reaktionen auf die Doppelblindstudie
Die Reaktionen auf diese Veröffentlichung waren jetzt weltweit im Wesentlichen nicht so positiv, wie wir uns das gewünscht hatten. Nach dem Motto: das ist zu einfach, das kann nicht sein. Natürlich gibt es noch andere Ursachen für vorzeitige Wehen und eine Frühgeburt, z.B. Scheiden-Infektionen. Aber dieser Komplex ist (wahrscheinlich) vollständig zu trennen von den Kontraktionen, die durch ein zu wenig an Magnesium hervorgerufen werden. Vorzeitige Wehen sind ein Symptom. Und in der Medizin kann ein Symptom auf mehrere Störungen hinweisen.
Ich bekam viele Einladungen. Für mich am eindrucksvollsten war die Einladung vom National Institut of Health (NIH) nach Cape Cod nicht weit von Boston. Ich musste dort richtig kämpfen, nicht nur weil mein Englisch vorsichtig ausgedrückt suboptimal war. Der latente Vorwurf gegen meine Ergebnisse war, dass die Studie nicht nach GCP-Leitlinien durchgeführt war, die es ja zum Zeitpunkt der Studienplanung überhaupt noch nicht gab. Die Studie war wohl doppelblind, aber an der Randomisierung hatten sie etwas auszusetzen.
Ich möchte das einmal so erklären: Da eine von den beiden Chargen Magnesium enthielt, hätten wir den Inhalt ja analysieren können. Mit dem Wissen hätten wir dann die Placebo-Charge den Frauen mit einer ungünstigen Schwangerschaftsanamnese zuteilen können, was möglicherweise zu schlechteren Ergebnissen in der Gruppe ohne Magnesium geführt hätte. Meine Gabi hätte zudem mit diesem Wissen die Auswertung beeinflussen können. So wird unsere Studie in der Literatur als umstritten bezeichnet und die Fachgesellschaften für Geburtshilfe und Frauenheilkunde haben aus unseren Ergebnissen keine offizielle Empfehlung zu einer generellen Magnesiumgabe in der Schwangerschaft ausgesprochen. Es bekommt wohl nicht jede Schwangere Magnesium, aber ich glaube, dass die Magnesiumgabe weltweit zum Repertoire aller Frauenärztinnen und -ärzte gehört und viele Frauen Magnesium auch ohne Verordnung einnehmen. Übrigens ein Phänomen, das spätere Doppelblinduntersuchungen unmöglich macht D[1]
Was habe ich mich geärgert über die Kommentare eines gewissen Herrn Sibai aus Amerika. Dieser hatte ebenfalls eine Doppelblindstudie durchgeführt und keine Unterschiede zwischen seinen Gruppen gesehen und deshalb behauptet, Magnesium hätte keinen Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf. Hätte Sibai vor seinen Kommentaren unsere Arbeit ganz gelesen, dann hätte er festgestellt, dass auch, wenn unsere Studie nicht nach GCP-Regeln durchgeführt werden konnte, unsere Randomisierung gestimmt hatte. Es gab bei den anamnestischen Daten keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Sibai wollte in seiner Studie einen Einfluss von Magnesium auf die Präeklampsie, eine Erkrankung in der Schwangerschaft untersuchen, die mit sehr hohem Blutdruck einhergeht. Unter jungen schwarzen Frauen, die ihr erstes Kind bekommen, ist diese Erkrankung häufig. Deshalb wählte er diese Gruppe und gab ihnen erst ab 20 Schwangerschaftswochen Magnesium oder Placebo. Zudem erhielten allen Probandinnen, also auch die der Placebogruppe ein Multivitamin-Elektrolytpräparat mit einem Drittel der Menge, die unsere Magnesiumgruppe erhielt. Unsere Probandinnen stellten zudem eine ganz normale Gruppe dar, in der auch Mehrgebärende waren. Sie hatten zu dem Zeitpunkt des Supplementationsbeginns von Sibai meist schon über 10 Wochen Magnesium eingenommen. Da er wesentlich weniger Frauen in seine Studie aufgenommen hatte als wir, behauptete er auch noch, dass wenn er seine Fallzahl verzehnfacht hätte, er in seiner Studie auch keine Unterschiede sehen würde. Da er diese Berechnung in seiner Veröffentlichung aber nicht angestellt hatte, haben wir das für ihn getan. Und siehe da, es gab große Unterschiede im Geburtsgewicht, im Plazentagewicht als ein Indikator für kindlicher Mangelentwicklung. Und die trat hochgerechnet ebenfalls in seiner magnesiumfreien Gruppe häufiger auf. Zudem hatten die Kinder einen schlechteren Apgar-Wert. Also wir gehen davon aus, dass er bei früherer Supplementation und wirklich magnesiumfreier Placebogruppe mindestens die gleichen Unterschiede gesehen hätte wie wir.
Auch wenn ich mich noch so ärgerte, ich konnte, außer einen Brief an die Herausgeber der Zeitschrift zu schreiben, nichts machen. An dieser Stelle muss ich viele hiermit befasste Wissenschaftler und Kliniker kritisieren. Wie vielen Frauen und ihren Kindern könnte es weltweit besser gehen, wenn sie unsere Studie besser gelesen und Leitlinien geschrieben hätten, die differenzierter auf die die Magnesiumgabe in der Schwangerschaft eingegangen wären. Als ob es vor den GCP-Regeln keine gute Wissenschaft gegeben hätte.
Universitäts-Frauenklinik Bochum/Herne
Ich hatte noch nicht berichtet, wie ich zum Marienhospital nach Herne kam, den dort ging unsere Forschung zu Magnesium ja weiter. Die Ruhruniversität hatte zunächst vor, eine Universitätsklinik auf dem Campus in Bochum zu bauen. Da im Ruhrgebiet aber an jeder Ecke ein Krankenhaus steht, befürchtete man den Bettenberg noch zu vergrößern. In den größten Krankenhäusern in Bochum und um Bochum herum fand man geeignete Kliniken und berief auf deren Leitungen habilitierte Chefs, um eine universitäre Medizin betreiben zu können. So wurden einige Kliniken um den Campus herum Universitätskliniken und das „Bochumer Modell“ war ins Leben gerufen. Es gab dort am Marienhospital also ein Uni-Frauenklinik, aber Forschung wurde dort nicht betrieben.
In Zürich hatte ich als „Usländer“ zunächst nur eine Arbeitserlaubnis für zwei Jahre. Da ich aber in der Klinik und in dem Perinatalphysiologischen Labor in Zürich gebraucht wurde, verlängerte man diese von Jahr zu Jahr.
Ich kann nicht behaupten, dass das Verhältnis zu meinem Chef Albert Huch besonders in den letzten Jahren ungetrübt war. Und so bekam ich über ihn einen Brief von der Zürcher Kantonsverwaltung, dass ich meine Ausreise in den Folgemonaten vorzubereiten habe. Gegen diesen Brief legte mein Chef keinen Einspruch ein. Eine gewisse Panik ergriff mich, da ich mitten in den Arbeiten zu meiner Habilitation stand. Es war mir klar, dass ich den „Dienstweg“ nicht einhalten konnte. So fasste ich mir ein Herz, ging direkt zum Zuständigen in der Gesundheitsdirektion und trug dort mein Problem vor. „Wie lange brauchen Sie noch?“ wurde ich gefragt. Das Jahr, das ich vorschlug, wurde mir sofort umgehend und problemlos bewilligt.
So hatte ich etwas Zeit auch für die Suche nach einer Folgeanstellung. Mein Blick fiel also auf die Frauenklinik im Marienhospital in Herne, nicht zuletzt, weil meine Gabi und ich in Duisburg aufgewachsen waren und Herne irgendwie auch zum Ruhrgebiet gehörte, mehr aber zum westfälischen Teil, während Duisburg ja zum rheinischen Teil gehört. Der dortige Chef Quakernack wollte mich gerne nehmen, aber ein Labor könne er mir nicht bieten. Also wie an ein Labor kommen?
Einrichtung einer Forschungsabteilung

Ekkehard Stähler

Rudolf Buchholz
Ich fragte bei der Krankenhausverwaltung nach geeigneten Räumen. Man fand im Souterrain des Personalhauses Räume, in dem Gerümpel gelagert wurde. Aber nur weil ich gerne weiter forschen möchte, würde man diese Räume nicht zum Zwecke der Forschung renovieren. Ich fragte bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) nach und schickte einen Antrag über die Möglichkeiten zur Feedback-Steuerung der pulsatilen Bolustokolyse. Falk Fallenstein und ich hatten die Bolustokolyse, eine intermittierende Abgabe wehenhemmenden Mittels Fenoterol (s.o.) im Zürcher Labor entwickelt und auch erste positive Untersuchungen mit Schwangeren gemacht. Weil unsere Forschung schon seit der Ovarperfusion mit Ekkehard Stähler und dem damaligen Direktor der Frauenklinik Rudolf Buchholz in Marburg von der DFG gefördert wurde, konnte man sich dort eine Förderung vorstellen. Aber man machte mich darauf aufmerksam, dass nur Stellen und Geräte finanziert werden könnten, die direkt mit der Fragestellung des Projektes zu tun hätten. Also kein Mobiliar, keine Computer, keine Drucker etc. Mit dieser Information ging ich wieder zur Krankenhausverwaltung. Gerne würden sie mir die Räume vorbereiten, aber für das Mobiliar etc. würden sie nicht aufkommen. Und für die sonstige Grundausstattung auch nicht.
Was tun?
Nun ist Forschung und Lehre im Wesentlichen Ländersache und so nahm ich mit dem Wissenschaftsministerium in Düsseldorf Kontakt auf, das zunächst einen präzisen Antrag wünschte. Diesen konnte ich für unser Vorhaben gut formulieren. Ich stellte die Bereitschaft von DFG und Krankenhausverwaltung dar und fügte in der Anlage zum Antrag die Aufstellung der notwendigen Grundausstattung bei. Eine kurze Zeit später lud man mich nach Düsseldorf ein und empfing mich dort mit dem Satz: „Lieber Herr Spätling, in der Anlage stehen Bänke.“ – witzig – Rheinland halt. Seit dieser Zeit füge ich alles nur noch „als“ Anlage bei.

Mittlere Räume der Forschungsabteilung
Die Hauptnachricht aber war, dass man mir das nötige Geld zur Verfügung stellen wollte, wenn dann auch der Krankenhausträger die Räume als Labor herrichtete. Mit dieser Auskunft sprach ich wieder beim Krankenhausverwalter vor. „Mit welchen Möbeln wollen Sie denn das Labor einrichten, wenn es umgebaut ist?“
Die Verla Pharm hatte ja „ein klein wenig“ von unserer Forschung profitiert, ein Erweiterungsbau zur Medikamentenproduktion war in Tutzing begonnen worden und so fragte ich dort nach Unterstützung bei der Möbelbeschaffung. Der dafür notwendige Betrag wurde gerne zur Verfügung gestellt und die Möbel gekauft. Übrigens, die Möbel waren von so guter Qualität, dass viele von ihnen noch heute, über 40 Jahre danach, in unserer Stiftung und in der Familienschule in Gebrauch sind.
Mit den drei Zusagen war dann das Marienhospital bereit, die Räume umzubauen. Und das haben sie dann wirklich schön hinbekommen.
Nun bewilligte auch die DFG unseren Antrag. Jetzt hatten wir eine Ausstattung und auch Personal, um nicht nur die Untersuchungen zur Uterusmotilität und Feedbacksteuerung durchzuführen, sondern auch unsere Untersuchungen zum Magnesium weiterzuführen.
Untersuchungen zur Magnesium Resorption und Interaktion
Schon von meinen ersten Gehversuchen in der Magnesiumwelt war Hans-Georg Classen ein großer Unterstützer unserer Forschung. Er war der Chef des Institutes für Pharmakologie und Toxikologie in Stuttgart-Hohenheim, hatte die Gesellschaft für Magnesiumforschung ins Leben gerufen und auch einige fleißige Studentinnen. Eine von ihnen war Gaby Disch mit Laborerfahrung. Wir konnten sie motivieren, im Rahmen einer Doktorarbeit abwechselnd in unserem Labor und im Labor in Hohenheim zu arbeiten, denn dort stand auch ein Rattenstall zur Verfügung. Dass Schwangere ruhig Magnesium und Eisen zeitgleich zu sich nehmen dürfen, haben wir den Erkenntnissen aus ihrer Arbeit zu verdanken. Auch experimentierten wir mit Methoden zur Messung des ionisierten Magnesiums, da ja dieser Anteil im Blut der Hauptverantwortliche für die Wirkung war. Die Resultate hatten aber eine solche Streuung, dass sie für die Klinik nicht zu gebrauchen waren und unsere Ergebnisse nur zu Vorträgen bei den Fachgesellschaften reichten.
Als Verbindung zwischen Klinik und Forschungsabteilung hatten wir bei der DFG eine Assistentenstelle beantragt, die alle halben Jahre aus der Gruppe besetzt wurde, die zum Frauenarzt, zur Frauenärztin qualifiziert wurden. Recht früh nach der Eröffnung der Forschungsabteilung hatten wir nun eine Medizinisch-Technische Assistentin, Christine Lehmann, die frisch von der Schule kam. Die arbeitete so flott, dass wir, Falk Fallenstein und ich kaum mit Aufträgen hinterherkamen. Sie studierte unseren Betrieb mit den Rotationsassistenten F [1] und Assistentinnen während eines guten Jahres. Nach diesem Jahr traute Frau Lehmann sich zu, auch Medizin zu studieren. Nach dem Physikum stand dann die Doktorarbeit an, die sie natürlich bei uns machte. Es war immer schon die Frage, ob die tägliche Magnesiumdosis vielleicht nur einmal am Tag eingenommen werden könne. Also haben wir diese Frage in ihrer Arbeit untersucht und beantwortet. Natürlich wird viel mehr Magnesium resorbiert, wenn man die tägliche Dosis in drei Teilmengen einnimmt. Jetzt hatten wir es schwarz auf weiß. Thomas Cunze, ein weiter Doktorand, schloss die in Zürich mit Peter Kunz begonnene Bestimmung von Magnesium im Gebärmuttermuskel ab.
Chvostek und Magnesium
Über unsere Gesellschaft für Magnesiumforschung, auf die ich später noch eingehen werde, lernte ich auch Jean Durlach aus Paris kennen. Er war Präsident der „International Society for the Development of Research on Magnesium“ (Was für ein großer Name) und Chefeditor der Zeitschrift „Magnesium Research“. Ihn konnte ich anlässlich eines Vortrages in Paris besuchen. Ein Magnesiummangel könne man doch ganz einfach bestimmen, sagte er nicht nur einmal. Man müsse nur nach dem Chvostek-Zeichen schauen. Würde man mit dem Reflexhammer auf den Nervus facialis nahe dem Kiefergelenk klopfen und die Oberlippe würde zucken, hätte man einen Magnesiummangel. In der Literatur wird der Chvostek als Kalziummangelzeichen beschrieben. Das wäre ja schön, wenn man so leicht einen Magnesiummangel herausfinden könnte. Niedriges Magnesium im Blut beschreibt nämlich einen Mangel nur schlecht, da Magnesium ein Ion ist, das eher in der Zelle, als im Serum ist.

Chvostek-Labor
Also habe ich an der Ruhr-Uni nach jemandem gesucht, mit dem ich entsprechende Experimente machen konnte. Wir hatten dann in der Neurologischen Klinik am Knappschaftskrankenhaus in Bochum- Langendreer einen tollen Versuchsaufbau mit Elektromyographie und Ausmessung des Lippenzuckens mit Hilfe von Videoaufzeichnung aufbauen können. Die Ergebnisse waren erwartungsgemäß. Es wäre auch zu schön gewesen, mit dem Chvostek-Zeichen einen Magnesiummangel zu finden. Wir fanden nur einen leichten Zusammenhang zum Kalziumspiegel. Aber das hatte Chvostek sich ja auch gedacht. Leider hatte der Kollege in der Neurologischen Klinik keinen Impetus die Ergebnisse zu veröffentlichen und so gab es nur einen Vortrag.
Einladungen und Publikationen
Nun war die Frauenklinik in ihrer Größe nicht vergleichbar mit den Frauenkliniken in Marburg, Zürich oder später Fulda. Aber wenn man Geburtshilfe auf hohem Niveau betreiben wollte, musste man während des Bereitschaftsdienstes in der Klinik bleiben, um in kürzester Zeit eingreifen zu können. Das war gut für die Klinik, meistens gut für die Wissenschaft, aber nicht immer gut für die Familie. Man kann sich ausrechnen, wieviel Zeit ich bei vier Oberärzten, besonders in der Urlaubszeit im Krankenhaus verbrachte. Zum Beispiel verabschiedete ich mich bei einem Wochenenddienst am Donnerstagabend von der Familie und kam am Montagabend zurück. Dazu kamen die vielen Einladungen. Über die Einladung zu einer NIH-Konferenz hatte ich oben schon berichtet. So war ich noch in Blacksburg/Virginia, Kapstadt/Südafrika, Kyoto/Japan, Bones-Aires/Argentinien, Stockholm/Schweden, Rom/Italien, Paris/Frankreich, Teneriffa/Spanien, Lissabon/Portugal, Bangkok/Thailand und an verschiedenen Orten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nur selten konnte ich Gabi und die Kinder mitnehmen. Da kam manchmal „Freude“ auf. Ich war aber von der Wichtigkeit der Vorträge für meine wissenschaftliche Laufbahn so überzeugt, dass ich nur Einladungen nach Indien und Australien ausschlug. Und etwas missionarisches war auch dabei. Ich wollte halt, dass möglichst viele Frauen von unserer Magnesiumerkenntnis profitierten. Das will ich noch heute. Vielleicht ist das auch ein Motivator zu diesem Bericht und zu meiner Homepage.
Im Bereitschaftsdienst und Nachtdienst hatte ich nun Zeit für Auswertungen, Doktorarbeiten und Schreiben von Publikationen. Karl-Heinrich Wulf, der Ordinarius der Würzburger Frauenklinik, sagte wohl einmal nach meinem Vortrag über die Doppelblindstudie: „Das glaube ich nicht.“ Aber er bat mich bald darauf für die Zeitschrift „Der Gynäkologe“ einen Artikel über die frühe Frühgeburt zu schreiben. Dieser und andere Handbuch-Beiträge, in denen Magnesium, aber auch die Erkenntnisse um die Wehenhemmung mit Fenoterol, die Bolustokolyse und die Vierkanaltokographie eine wesentliche Rolle spielten, festigten unsere Position im Bereich der Diagnostik und Therapie der Frühgeburt. Und all das hat dazu beigetragen, dass mir später die Leitung der Fuldaer Frauenklinik mir anvertraut wurde. Dafür bin ich dankbar.
Frauenklinik am Klinikum Fulda
Natürlich erhielten alle Schwangeren in meiner Klinik Magnesium, ich hoffe, dass das auch heute noch so ist. Aber systematische Forschung mit Magnesium konnte ich dort nicht mehr machen. Auch wenn Falk Fallenstein von Herne nach Fulda kam und wir auch hier eine kleine Forschungsabteilung mit Hilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft einrichteten. Im Wesentlichen beschäftigten wir uns hier aber mit der Bolustokolyse, der Vierkanaltokographie und später mit der Cerclage und dem Totalen Muttermundsverschluss. Auch entwickelten wir Verfahren bei starken Blutungen nach der Geburt, wie die Steppnahttechnik und die Sumo-Kompression. Und dann war da noch die Einrichtung der Stiftung mit ihrer Familienschule. Und natürlich war ich meist von morgens bis abends in der Klinik, und oft auch nachts, denn die Geburtshilfe ist ein „heißes“ Fach. Notfälle entstehen verdammt plötzlich und oft ist es für einen jungen Oberarzt, resp. Oberärztin allein zu anspruchsvoll.
Gesellschaft für Magnesiumforschung
Aber Magnesium ließ mich nicht los. So übernahm ich das Präsidentenamt der Gesellschaft für Magnesiumforschung, die Gesellschaft, in der sich die sammelten, die sich mit Magnesium befassten, deren Mitglieder ich immer um Rat fragen konnte. Hier in Fulda führten wir dann Vorstandssitzungen und die jährlichen Symposien durch. Wegen der zentralen Lage in Deutschland eignet sich Fulda dafür besonders. Auch die Lokalitäten für das unbedingt notwendige begleitende Programm erfreuten alle Angereisten Jahr für Jahr. Der Hörsaal des Klinikums und die beigeordneten Räumlichkeiten waren so leicht zu nutzen, dass ich das Drumherum zum Symposium noch Jahre nach meiner Verabschiedung als Klinikchef 2014 und Abgabe des Präsidentenamtes organisierte. Wir arbeiteten nun an der Hoffnung, dass doch in der klinischen Medizin häufiger an einen Magnesiummangel als Ursache für manche Erkrankungen resp. Störungen gedacht wird. Zunächst müsste es in der klinischen Routine einfach häufiger bestimmt werden. Es bleibt mühsam, bei einem Ion, das bei über 300 enzymatischen Reaktionen im Körper eine Rolle spielt, Ärzten nahezulegen an Magnesium zu denken.
Abschließende Bemerkungen
Es war ein glücklicher Zufall, dass ausgerechnet meine Gabi diese unglücklichen vorzeitigen Wehen hatte, dass ihr auffiel, dass das Magnesium nicht nur die Wadenkrämpfe, sondern auch die vorzeitigen Wehen reduzierte. Zufall auch, dass ich durch die Ovarperfusion ein wenig Erfahrungen und somit Mut hatte, auch klinische Fragestellungen zu bearbeiten. Diese Beobachtung hat uns beide motiviert, die Zusammenhänge weiter zu erforschen. Auch wenn „es nicht hat sein sollen“, dass unsere Doppelbildstudie den erst später entwickelten GCP-Regeln entsprach und deshalb nicht dieser „Durchmarsch“ erfolgte, wie wir ihn erhofft hatten. Trotzdem konnte erreicht werden, dass die meisten Frauenärzte bei vorzeitigen Wehen an Magnesium denken und so vielen Frauen eine oft nebenwirkungsreiche, oft unnötige Therapie erspart bleibt.
Es hat sich gelohnt.
Ludwig Spätling, im April 2025
[1] A Wir haben dazu Untersuchungen gemacht. Da Testosteron und weitere Hormone, die den Haarwuchs hätten stimulieren können, nicht erhöht waren, kam man zu folgender Interpretation: Die wehenhemmenden Betamimetika stellen die Hautgefäße weit, so dass vermehrt Blut durch sie floss. So verglich man die Haut mit einer gut gewasserten Wiese, auf der das Gras besser gedeiht. Übrigens bildete sich der Haarwuchs nach Therapieende komplett zurück.
[1] B Ich durfte nicht in den Gyn-Op. Um aber einmal in einer leitenden Position an einer Frauenklinik zu arbeiten, ist es eine Qualifikation im gesamten Fach notwendig.
[1] C Mario (KTM) Schneider untersuchte mit mir parallel die Funktionen im Stehen und Sitzen. Hier fanden wir das, was wir das „Stehphänomen“ nannten: Im Stehen erhöhte sich die Herzfrequenz bis zu einem gewissen Punkt, an dem sich die Gebärmutter zusammenzog. Dann sank sie wieder. Wir interpretierten das folgendermaßen: Der weiche Uterus behindert im Stehen den venösen Rückfluss des Blutes zum Herzen. Wenn der Uterus sich kontrahiert, stützt er sich auf der Wirbelsäule ab und gibt die Vena Cava frei, so dass das Blut wieder zu Herzen zurückfließen kann und das Herz den geringen Blutrückfluss nicht mit einer erhöhten Herzfrequenz kompensieren muss. Mario konnte sich mit den Untersuchungen zu diesem Phänomen habilitieren.
[1] D Nun hatte die Verla Pharm versucht, eine Indikation für die Schwangerschaft zu erhalten. Diese wurde mit den beschriebenen Argumenten vom BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) abgelehnt. So bin ich also nach Berlin und habe noch einmal die erfolgreiche Randomisierung in unserer Studie erklärt. „Dann machen Sie doch eine neue Studie“ hieß es dort. Mit dem Hinweis, dass es nicht gelänge, eine Gruppe zu bilden, die kein Magnesium nähme, weil die gute Wirkung schon mindestens europaweit bekannt wäre und jede sich Magnesium besorgen könnte, hieß es: „Dann gehen sie doch nach Russland oder zumindest in den Ostblock“. Mit blieb die Sprache weg.
[1] F Hier darf ich einschieben, dass das Fach Geburtshilfe und Frauenheilkunde auch in unserer Frauenklinik in Herne zunehmend weiblicher wurde. Da Ärztinnen in der Schwangerschaft nicht klinisch arbeiten dürfen, war die Rotationsstelle in unserer Forschungsabteilung während der Schwangerschaften ideal.