Um meiner Betrachtung eine andere Sichtweise an die Seite zur stellen, habe ich meinen Beitrag meinem Freund Ludwig Struck, der Prämonstratenser und in Magdeburg der Pater Andreas OPREM ist, geschickt. Seine „Ergänzung“ habe ich unten angefügt.
Gott für Atheisten?
Ludwig Spätling
Warum befasst du dich auch noch damit, meint meine treue Kritikerin? Nun geht mir vermeidbares Unglück nahe. Das fehlende Wissen, wie man eine zufriedene Partnerschaft lebt, hat mich schon in der Klinik bei den werdenden Eltern gestört. Aber auch bei mir selbst habe ich deutliche Defizite bemerkt. Das ist sicher auch ein Grund, warum ich mich mit diesem Thema befasse.
Es gibt viel Wissen, aber es kommt nicht zu denen, die es brauchen. Diese Erkenntnis führte zur Gründung der Deutschen Familienstiftung und ihrer Familienschule. Unter ihrem Dach konnten wir einiges zu diesem Thema bearbeiten. Bis auf eine „Glücksstörgröße“. Die Frage: Gibt es Gott? Aufgefallen ist mir dieses Problem in der eigenen Familie, als die Kinder einer meiner Schwestern, die aus der Kirche ausgetreten war, wiederholt bedauerten, so ein „tolles Erstkommunionsfest“ wie die Cousinen nicht gefeiert zu haben.
Aber warum sind ihre Eltern aus der Kirche ausgetreten? Auch in den Diskussionen mit Familie und Freunden kommt immer wieder der Satz: „An Gott kann ich nicht glauben“.
Deshalb beschäftige ich mich seit langem mit diesem Problemfeld.
Unverständliche Sprache
Ein wesentliches Problem auch für gut Gebildete besteht in der Sprache, mit der Philosophen und Theologen über das Feld: „Sinn des Lebens, Religion, Gott“ nachdenken. Die Sprache ist so komplex, dass man als ungeübter schnell aussteigt. Wir wissen von unserem Medienverhalten, dass der Leser „bei der Stange“ gehalten werden muss. Und das geht nur, wenn Sprache und Argumentation nah an der Zielgruppe sind. Und vielleicht hilft mir meine Tätigkeit als Arzt und Naturwissenschaftler mich diesem Problem zu zuwenden. Deshalb möchte ich in dieser Betrachtung versuchen, Gedanken, die eventuell helfen in Glaubensfragen nicht so zerrissen zu sein, in einer alltagsnahen Sprache zu formulieren. Es ist mir klar, dass meine fehlende theologische und philosophische Ausbildung gedankliche Unschärfen erzeugen kann. Aber vielleicht ist es auch nur so möglich, meinem Ziel näher zu kommen, vielen das Leben mit dem Zwiespalt zu erleichtern.
Bild von Gott
Wir alle wissen, Diskussionen werden mühsam und uneffektiv, wenn wir nicht zuvor definieren, wovon wir sprechen. Also, welche Vorstellung haben wir von Gott? Die meisten Menschen haben ein Bild von Gott, das sich aus der Erziehung und dem persönlichen Umfeld bildet. Viele stellen sich Gott als ein besonderes Wesen vor, das den Menschen ähnlich ist, mit guten Eigenschaften, also meist einen lieben und barmherzigen Gott. Er soll allmächtig sein und das Geschehen auf der Erde lenken. Abstraktes Denken fällt uns Menschen sehr schwer. So können die meisten von uns sich nicht freimachen von dem Bild eines älteren Herrn mit großväterlichem Bart, wie er über Jahrhunderte dargestellt wurde. Es heißt ja auch, er hätte uns nach seinem Ebenbild geschaffen. Für viele, die sich als Atheisten bezeichnen, steht dieses Bild als Definition. An so einen Gott können sie nicht glauben. Auch die Menschen, die sich als Agnostikerbezeichnen, brauchen eine Definition. Auch wenn sie sagen, dass Gott sein kann oder auch nicht, man könne es einfach nicht wissen.
Nun sind die meisten von uns keine Kreationisten mehr, die ja glauben, Gott hätte die Erde in sieben Tagen erschaffen. Und trotzdem denken wir doch, dass Gott irgendwie der „Erschaffer“ der Welt ist. Aber wie soll das gegangen sein? Einen erschaffenden, persönlichen und handelnden Gott, wie wir ihn uns naiv vorstellen, kann es zum Zeitpunkt der Entstehung des Kosmos vor Milliarden Jahren nicht gegeben haben. Uns Menschen gibt es ja erst ganz kurz, seit einem erdgeschichtlichen „Wimpernschlag“.
Also sollten wir uns von dem menschenerdachten und menschenähnlichen Gottesbild lösen. Tun wir das, fällt uns auch ein Stein vom Herzen. Denn wie könnte ein persönlicher, barmherziger, in das Geschehen eingreifender Gott Naturkatastrophen, Kriege, Mord und Todschlag zulassen?
Gott als Ordnung und Sinn?
Wenn wir uns die Bausteine des Kosmos anschauen, so finden wir überall im Weltall die gleichen Atome. Jeder Planet, jede Sonne in den Milliarden von Galaxien besteht aus den gleichen Atomen mit ihren Protonen, Neutronen, Elektronen, Quarks etc., den Elementen mit Masse, Energie und Strahlung. Mit hoher Präzision zerfallen im Kosmos Elemente und es bilden sich neue, immer mit denselben Bausteinen. Aus Atomen bilden sich Moleküle. Und unter günstigen Bedingungen kann sich daraus Leben entwickeln.
Zumindest auf unserer Erde waren die Bedingungen günstig. Zunächst bildeten sich aus Kohlenstoff, Stickstoff, Wasser- und Sauerstoff, Aminosäuren und aus vielen Aminosäuren Proteine. Es folgten Formen von Chlorophyll, niedrige Pflanzen, Einzeller, später Mehrzeller. Und in einer Milliarden Jahre dauernden Evolution entwickelten sich die Säugetiere, somit auch der Mensch mit seinen Fähigkeiten, mit seiner Kunst und Wissenschaft.
Wir können also feststellen, dass die Möglichkeit, das sich Leben entwickelt mit allen Pflanzen und Tieren schon vor Milliarden Jahren seit dem Urknall im Bauplan der Elemente angelegt ist.
So stellt sich wieder die Frage: Hat Gott uns Menschen erschaffen? Aber sicher nicht der Gott, den wir mit unserer Naivität denken. Wenn wir aber sehen, dass der Milliarden Jahre alte Bauplan der Elemente im gesamten Kosmos seit Beginn Leben ermöglicht und die Evolution auf den Weg gebracht hat, so könnten wir zu dieser Ordnung, aus der immer Neues entsteht, „Gott“ sagen. Das ist den alten Philosophen nahe, die Gott mit der gesamten Natur gleichsetzten und das Pantheismus nannten. Für uns heute mit all den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ist dieser Ansatz viel leichter zu denken als für die, die vor mehreren hundert Jahren darüber nachgedacht haben.
Diese im gesamten Kosmos geltende Ordnung, diese Struktur der Atome der verschiedenen Elemente hat alle uns bekannten Lebensformen bis hin zu einem intelligenten Menschen ermöglicht. In den vielen Jahrzehnten meines Lebens bei allen Katastrophen auf dieser Welt und aller menschlicher Perfidität, war die Ordnung mit einem Sinn gefüllt. Ordnung und Sinn könnte man mit dem Begriff Gott gleichsetzen. Über die Jahrhunderte meinte ich, eine leichte Entwicklung zum Guten beobachtet zu haben, so etwas wie eine „emotionale Evolution“. Aber im Moment nach Überfall Russlands auf die Ukraine, nach dem Massaker der Hamas in Israel, nach der Aufkündigung der Werte durch Staatslenker bin ich mir da nicht mehr so sicher. Aber vielleicht muss man in größeren Zeiträumen denken.
Wie sind die Religionen entstanden?
Wenn wir heute den Vorzug haben, vieles erklären zu können, so waren vor vielen tausend Jahren die meisten Phänomene in der Natur für die Menschen bedrohlich. Sie hatten keine Erklärung für das Beben der Erde, für Blitz und Donner, für Flut und Dürre. Um mit den angstmachenden Phänomenen umgehen zu können, erdachten sie konkrete Geister oder Götter, die diese Phänomene verursachten. Um diese wiederum gut zu stimmen, entwickelten die frühen Menschen Rituale, wie Opferungen, durch die sie hofften, die Götter wohl zu stimmen und damit Schaden von sich abzuwenden.
Bei der immer höheren Anzahl von Menschen in den besiedelten Gebieten mussten Wege gefunden werden, wie Menschen am besten zusammenleben können. Dieses gelang mit übergeordneten Ideen, in denen die Rituale untergebracht wurden. So entwickelten sich Religionen. Verhaltensregeln wurden aufgestellt und ihre Nichteinhaltung bestraft.
Einzelne Menschen erkannten schon früh, dass durch die Gleichschaltung der Menschen in Religionen Machtstrukturen geschaffen werden können. Diese einzelnen Menschen nutzen diese Machtstrukturen bis heute zu ihrem eigenen Vorteil und zum Schaden der Übrigen aus. Beispielhaft ist die Angst vor ewiger Verdammnis, mit der die Menschen gefügig gemacht wurden. Das geschah auch in den vergangenen Jahrhunderten, in denen in der christlichen Religion der strafende Gott den barmherzigen Gott ablöste. Dieses Konzept ließ sich im Monotheismus leichter umsetzen. Offensichtlich hatten die vielen Götter im Polytheismus nicht die Autorität, wie ein Gott, so dass sie weniger zum Machtausbau missbraucht werden konnten.
Entstehung der Weltreligionen
Es ist wahrscheinlich, dass im eben beschriebenen Bauplan der Materie nicht nur die Entwicklung der Lebewesen bis hin zum intelligenten Menschen, sondern auch die Möglichkeit seiner geistigen Evolutionangelegt ist. Diese geistige Weiterentwicklung und das in den Menschen angelegte Streben nach einem besseren Leben, machte die Zeit reif, für einzelne besonders charismatische und sendungsbewusste Personen, die Verhaltensweisen propagierten, wie man ein besseres Leben erreicht. Damit wurden sie zu Kristallisationsorten für die Entstehung der Weltreligionen.
Zudem gab es immer mehr Menschen auf der Welt. Um kein Chaos ausbrechen zu lassen, braucht es eine Ordnung und diese Ordnung richtet sich nach einer Idee, einer Geschichte oder einer Religion aus. Mit der Hoffnung auf ein Paradies nach dem Tode und der Aussicht die wiederzutreffen, die oft zu früh gestorben waren, ließ sich das aktuelle Leben im Elend erdulden. So wurden die Regeln, die vor der angedrohten ewigen Verdammnis bewahren sollten, im Wesentlichen befolgt. Mittelalterlichen Darstellungen in vielen christlichen Kirchen zeigen eindrucksvoll, wie das des Lesens unkundige Volk „belehrt“ wurde.
Aber auch mit anderen Ideen ließen sich Menschen disziplinieren, wie mit dem Kommunismus und seinen fast religiösen Strukturen, oder der Idee von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der Französischen Revolution.
Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Ein Leben im Himmel nach dem Tod als Motivation, die Last hier auf der Erde auszuhalten, wie einige Religionen lehren, kann es im physikalischen Sinn nicht geben. Für naturwissenschaftlich denkende Menschen ist eine fleischliche Auferstehung und einen Transfer in den „Himmel“ nicht möglich. Aber ist nicht doch eine Art des Weiterlebens denkbar? Jeder Mensch hat etwas getan in unserer Welt, etwas bewirkt im Guten oder im Bösen. Etwas von dieser Wirkung bleibt nach seinem Tod in der Welt zurück. Von dem einem mehr, vom anderen weniger. Er muss nicht gleich ein Nobelpreis erlangen oder ein Smartphone erfinden. Jedes Wirken eines Einzelnen wird Teil der Entwicklung der gesamten Menschheit, ein Stein in einem großen Mosaik. Auch im Mosaik sieht man dem einzelnen Stein seine Bedeutung nicht an. Aber mit vielen Steinen kann sich ein wunderschönes Bild formen. Wirken wir auf unserer Erde zum Wohl der Gesellschaft, tun wir etwas das bleibt! Erziehen und stützen wir unsere Kinder. Versuchen wir Vorbild zu sein. Wirken wir in und durch unseren Beruf. Es wird etwas bleiben. Es gibt also keinen Grund für Hoffnungslosigkeit. Es ist eine etwas kompliziertere Form von Leben nach dem Tod, aber es ist eine.
Spiritualität und Meditation
Der Besuch von Bauwerken, Tempeln, Kirchen, Moscheen, die zur Ehre eines Gottes errichtet wurden, aber auch der Besuch von Gottesdiensten der einzelnen Religionen kann in vielen Menschen ein Gefühl auslösen, das dem schwer definierbaren Begriff der Spiritualität zugerechnet werden kann. Viele Menschen haben ein Urbedürfnis nach dieser Spiritualität. Dieses Bedürfnis kann die Entwicklung von Religionen erleichtert haben. Es wurde wesentlich durch die monotheistischen Religionen genutzt, um ihren Gottesglauben zu etablieren. Mit Hilfe der in die Religionen integrierten Vorschriften und Strafen war es auch möglich die anwachsende Zahl von Menschen im Zaum zu halten.
Nun Spiritualität und Religion sind seit Jahrtausenden unzertrennlich miteinander verbunden. Alle Phänomene, die sich die Menschen nicht erklären konnten, wurden den Geistern, den Göttern, später dem Gott zugeschrieben. Nun gibt es nicht mehr so fürchterlich viele Phänomene, die die Naturwissenschaftler nicht erklären können. Also hat Gott, so wie die Menschen ihn gebraucht haben, ausgedient. Das Bedürfnis nach Spiritualität aber bleibt. Und so habe ich den Eindruck, dass viele Menschen, die sich heute, die Gott zugeschriebenen Phänomene erklären können, sich von ihrer Religion trennen. Ein Gottglaube wird nicht mehr gebraucht. Sie treten aus den Kirchen aus und haben aber damit nicht mehr die Möglichkeit, ihr spirituelles Grundbedürfnis zu befriedigen. Das erzeugt Leid und öffnet die Tür für Ersatzreligionen, die bei Verschwörungstheoretikern unstrukturiert und mühsam zu ertragen sind, bei faschistisch organisierten, aber gefährlich sind für unser freies demokratisches Zusammenleben.
Wenn man an die Wurzeln der Religionen denkt, so sollten diese den Menschen das Leben erträglicher machen. Sie sollten ihnen eine gemeinsame Geschichte geben, ohne die große Gruppen auseinanderfallen. Dabei ist Meditation im weitesten Sinne ein wesentliches Element. Meditation wird erleichtert durch gemeinsame kultische, sich immer wiederholende Handlungen. Der Mensch kommt hier in einen besonderen Zustand, auch zur Ruhe. Zwiesprache, mit wem auch immer, erleichtert die innere Einkehr, die Selbstreflektion und manchmal den Vorsatz, sein Leben zu bessern. Kinder lernen das Meditieren im Beten. Sie spiegeln damit ihr tägliches Tun auch an ihrem Umfeld, was die sozialen Kompetenzen stärkt.
Den meisten Menschen gelingt Meditation und innere Einkehr nicht, besonders wenn heute vorhandene Technologen für stete Ablenkung sorgen. Rituale erleichtern die Möglichkeit der Meditation. Sie werden für viele hilfreich in der Kirche institutionalisiert.
Glaube
Von seiner Struktur ist der Mensch kein abstrakt denkendes Wesen. Für ihn gibt es immer auch etwas zwischen Himmel und Erde, das sich wissenschaftlich nicht beweisen lässt, auch nicht bewiesen werden muss. Kindern fällt abstraktes Denken schwer. Sie haben auch noch nicht das Wissen, das einen Gottesglauben relativiert. Ihnen kann man das Leben in der Welt mit dem Gedanken an einen „lieben Gott“ erleichtern. Ihrem zunehmenden Wissen entsprechend setzen sich Kinder allmählich mit der Komplexität eines „Gottesbildes“ auseinander. Der ein oder andere erkennt im Anschluss an diesen Denkprozess, dass er nun im Sinne vieler „Gläubiger“ ungläubig ist. Nur mit einem Gottesbegriff, der sich weiterentwickelt hat, kann diese Erkenntnis erleichtert werden, ohne dass man zu dem Schluss kommt, die Gemeinschaft, in der man aufgewachsen ist, verlassen zu müssen.
Wenn wir nun als aufgeklärte Wesen wissen, dass es den Gott, wie er von der Mehrzahl der Gläubigen und der kirchlichen Autorität dargestellt wird, nicht gibt, wenn wir wissen, dass die Rituale unserer Seele guttun, dann sollten wir die Rituale annehmen. Wir sollten sie als Hilfsmittel sehen, die uns „einfachen Menschen“ erleichtern, in dieser Welt zu leben und nicht an ihr zu verzweifeln. Mit dieser Einsicht kann es auch erlaubt sein, in Gottesdiensten das zu sprechen oder zu tun, was mit unserer Erkenntnis nicht zu vereinbaren ist.
Auch wenn durch ihre vielen Verfehlungen die christliche Kirche eine uneingeschränkte Identifikation mit ihr schwer macht, so hat sich ihre positive Grundaussage nicht geändert. Sie erleichtert auch die Erziehung der Kinder, eine Erziehung, in der wir versuchen, Errungenschaften, wie Nächstenliebe und Barmherzigkeitweiterzugeben.
Die oben ausgeführte Argumentation befreit vom Rechtfertigungsdruck, glauben resp. nicht glauben zu müssen. Da jeder seine Umwelt so sieht, wie es sein persönliches Wissen und seine Erfahrung erlaubt, entsteht ein persönliches individuelles Gottesbild. Das Wissen um dieses individuelle Gottesbild erleichtert die Toleranz, jeden an „seinen“ Gott glauben zu lassen. So ist es hilfreich bei Diskussionen um die Existenz Gottes, immer nach der Gottes-Definition des Diskussionspartners zu fragen.
Und müssen wir jetzt auf die Religionen und Kirchen verzichten?
Ich hoffe nicht. Wenn die Kirchen sich auf ihre ursprüngliche Aufgabe besinnen, den Menschen zu helfen, statt sie mit Vorschriften zu knechten, wenn sie ihre Verfehlungen aufarbeiten und die Probleme der sich ändernden Zeit in ihre Fürsorge einbeziehen, dann sollten wir nicht auf sie verzichten. Im Gegenteil, wir sollten sie stärken. Zudem ergänzen die Kirchen Dienste, die von staatlichen Strukturen nicht komplett abgebildet werden, wie in der Versorgung von Kranken und Bedürftigen, Kinderbetreuung, Beratung und Unterstützung bei verschiedensten Problemen etc., weshalb ich auch das Zahlen von Kirchensteuer für sinnvoll erachte.
Ich würde mir wünschen, – dass die in meinen Zeilen dargestellte Sicht auf einen Gottesglauben vielen Eltern erleichtert, ihre Kinder bei dem Erkennen der Welt mit Zuversicht zu begleiten, – dass eine individuelles Bild von Gott, von dem man denkt, es stünde im Widerspruch zu den Lehren, nicht zum Verlassen einer Religionsgemeinschaft führen muss, – dass die Toleranz gefördert wird und – dass vielleicht auch so bei dem ein oder anderen die Enttäuschung der Kinder wie in meiner Familie vermieden werden kann, über die ich eingangs beschrieben habe.
Einige Ergänzungen aus meiner persönlichen Sicht
Pater Andreas OPREM, Ludwig Struck, Magdeburg, 18.3.25
Lieber Ludwig, Du gehst in Deinem Artikel konsequent von einem naturwissenschaftlichen Verständnis aus. Das tue ich auch, welches denn sonst. In diesem Weltbild hat ein Gott mit den klassischen Vorstellungen, die die meisten Menschen noch haben, tatsächlich keinen Platz mehr.
Ich gehe in meinem persönlichen Glauben (und dem ständigen Ringen um ihn) von einem anderen Ansatz aus.
Hat Gott in unserem Weltbild keinen Platz mehr?
Gott hat in unserem Weltbild keinen Platz mehr in dem Sinn, dass er ein Teil unserer Wirklichkeit ist. Gott muss, wenn es ihn gibt, eine andere Wirklichkeit sein. Diese Wirklichkeit entzieht sich grundsätzlich unseren Erkenntnismöglichkeiten und damit auch unseren sprachlichen Möglichkeiten. Das gilt auch für alles, was jenseits der Schwelle des Todes liegt, also auch Auferstehung, ewiges Leben, Himmel. Wir können darüber nur metaphorisch reden, in Bildern und Vergleichen, die unserer realen Erkenntniswelt entnommen sind. Thomas von Aquin hat schon gesagt: „Alles, was wir über Gott reden (und schreiben) enthält mehr Falsches als Richtiges.“
Die Bibel von Menschen geschrieben
Auch die Bibel können wir nur in diesem Sinn lesen und verstehen. Es ist ein Buch geschrieben von Menschen und enthält darum natürlich nur menschliche Vorstellungen, die jeweils den Vorstellungen der Zeit entsprechen. Diese Erkenntnis ist in vielerlei Hinsicht auch eine große Befreiung. Denn was könnten wir denn sonst mit einem Gottesbild anfangen, das auf der Folie antiker Gewaltherrscher und ihrem Hofstaat gemalt ist, wie fast durchgängig im Alten Testament. Und das gilt natürlich auch für das Neue Testament. So ist auch die Rede, dass Jesus Gottes Sohn ist, nur in einem übertragenen Sinn zu verstehen, nicht in einem biologischen. Sie bringt zum Ausdruck – so sagen wir als gläubige Christen – dass im Reden und Handeln Jesu in exemplarischer Weise deutlich wird, wie Gott sich den Menschen „vorgestellt“ hat. (Ich kann unmöglich auf alles eingehen, darum nur angedeutet: das gilt natürlich auch für die Jungfrauengeburt und die Empfängnis aus dem Heiligen Geist.)
Kann man an Gott glauben?
Aber zurück zu der Frage, ob man auf diesem Hintergrund denn überhaupt noch von Gott sprechen kann bzw. mehr noch: an ihn glauben kann. Die Frage, was oder wer den Urknall ausgelöst hat und die ja unglaubliche, großartige Evolution in Gang gesetzt hat, und die weitere Frage worauf das ganze Universum zuläuft, können wir naturwissenschaftlich nicht beantworten. Auch wenn wir annehmen, dass dieses ganze Universum eine zyklische Angelegenheit ist, ein ewiges Entstehen und Vergehen (ich glaube, dies sagen heute manche Wissenschaftler) ist damit die Frage nicht beantwortet, denn auch „ewig“ gehört zu den Kategorien, die wir uns als Menschen, also als Wesen in Raum und Zeit, nicht vorstellen können.
Müssen wir also konsequenterweise Atheisten oder wenigstens Agnostiker sein?
Das meine ich nicht. Ich bin als freier Mensch in einer persönlichen Entscheidung in der Lage zu sagen, ich beantworte die Frage nach dem Anfang von allem (und dem Sinn von allem) mit dem Satz „Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Allerdings wohl wissend, dass ich diesen Satz und alle weiteren Sätze über den geglaubten Gott nur sprechen und denken kann in menschlichen Vorstellungen – siehe oben. Mir ist dabei klar, dass ich diesen Akt des Glaubens in keine Weise beweisen kann, ihn zwingend, notwendig machen kann. Allerdings sollten allen, die die andere Entscheidung treffen, sich darüber im Klaren sein, dass dies auch für sie gilt: sie sind genau so wenig „auf der sicheren Seite“ wie ich es bin. Und darum ist auch mein Glaube nie sicher, sondern immer angefochten, was ich übrigens tatsächlich auch mein Leben lang so erlebe. Der große Theologe Karl Rahner hat einmal gesagt: „Glauben heißt, der Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang standzuhalten.“ Allein schon aus der Tatsache, dass ich diesen Satz noch auswendig kann, sieht man seine Bedeutung für mich.
Vertrauen und Hoffnung
Dass ich doch immer wieder zu diesem Glauben zurückgekehrt bin, liegt keineswegs auf der Ebene von philosophisch-theologischen Überlegungen. Nein, es ist viel einfacher: es sind die Motive von Vertrauen und Hoffnung.
Ich vertraue einfach darauf, dass die zahllosen gläubigen Menschen, auf deren Schultern ich stehe, die aus der Kraft ihres Glaubens heraus ihr Leben mit allen seinen Höhen und Tiefen, mit Glück und Tragik, positiv gemeistert haben, die Hoffnung nicht verloren haben, dass die nicht alle Betrogene sind.
Ich hoffe darauf, dass mir der Glaube die Freiräume schenkt, die ich brauche, um trotz der Kompliziertheit und Korrumpiertheit unserer Welt nicht zu verzagen, sondern mein Leben und – für mich ganz wichtig – meine Beziehungen zu den mir nahestehenden Menschen gut zu gestalten, Sinn und damit Glück zu finden.
Kirche
Ich will auch noch kurz auf die Kirche zu sprechen kommen.
Skandale, Ärgernisse, Böses begleitet die Geschichte der Kirche, wir wissen das, vor allem auf den „oberen Etagen“ (natürlich nicht nur, das wäre zu billig) weil es da immer auch um Macht geht und die ist dafür anfällig.
Und trotzdem bin ich überzeugt: in Summe hat die Kirche in 2000 Jahren weitaus mehr Gutes als Böses bewirkt. Nur schlaglichtartig: zurzeit Papst Gregor IX gab es eben auch die hl. Elisabeth, zu der Innozenz III den hl. Franz von Assisi, und zu allen Zeiten zahl- und namenlose Menschen, die versucht haben, nach dem Evangelium zu leben, so wie sie es halt konnten.
Den „offiziellen kirchlichen Glauben“ mit all seinen Dogmen und Vorschriften kann ich nicht uneingeschränkt annehmen, bei weitem nicht. Dafür kenne ich z.B. bei manchen Dogmen die historischen Entstehungsumstände zu gut. Das ist für mich aber kein großes Problem. Mir ist klar, dass eine Institution, zu der über 1,3 Milliarden Mitglieder gehören, nicht immer so differenziert reden kann, wie wir das jetzt gerade tun.
Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die Kirche, wenn sie immer mehr eine „aufgeklärte Religionsgemeinschaft“ wird, was ich hoffe, einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Welt leisten kann und muss; in Sachen von Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung. Wer denn sonst!? Und das gilt für alle Religionen, wenn sie denn „aufgeklärt“ sind. Das siehst Du ja genauso.
Glaubensentscheidung
Ich möchte noch einmal auf die oben angesprochene Glaubensentscheidung zu sprechen kommen. Mir gefällt in diesem Zusammenhang sehr gut die berühmte „Wette“ von Blaise Pascal. Der große Mathematiker und Philosoph führt dazu aus:
Wenn ich auf den Glauben setzte, also sozusagen „wette“, kann ich nicht verlieren. Wenn sich im Tod herausstellt, dass er nichts als das absolute Ende ist, mein Glaube also falsch war, verliere ich nichts, weil mir der Glaube ein Leben mit Hoffnung und Sinn ermöglicht hat, auch wenn er sich als Trugschluss herausstellt.
Wenn sich aber nach dem Tod herausstellt, dass jenseits der Schwelle Gottes Herrlichkeit ist, in der mein Leben vollendet wird, gewinne ich alles.
Natürlich ist das auch nur ein nettes Gedankenspiel, aber es hat mir durchaus schon manches Mal in meinem angefochtenen Glauben geholfen.
Die Alten haben gerne gesagt …. et respice finem! Ich sage lieber: man muss auch immer wieder einmal über die Alternativen nachdenken.
Viele liebe Grüße
Ludwig