aus: Wenn Kinder – wann Kinder?, Hrsg. Deutsche Familienstiftung; Parzeller Buchverlag, Fulda, 2014; ISBN 978-3-7900-0490-8

Eine kombinierte Geburts- und Familienvorbereitung, als Chance zu Verbesserung elterlicher Partnerschaft, Optimierung von Bindung und Bildung. Eine Maßnahme zur Primärprävention

Ludwig Spätling

Zusammenfassung

Die Erwartungen an die Leistung der Partner und Eltern sind hoch, doch weder im Elternhaus noch in der Schule wird Wissen zu einer erfolgreichen Partnerschaft und Elternschaft vermittelt. Die entstehende Überforderung führt oft zu Trennung, meist mit erheblichen Nachteilen für Mütter und vor allem Kinder. Eine gute Partnerschaft der Eltern erleichtert eine sichere Eltern-Kind-Bindung. Dies ist eine Voraussetzung für eine optimale Bildung der Kinder. Die hohe Lernbereitschaft der Paare am Übergang zur Elternschaft bietet eine große Chance, Wissen zur Stärkung der elterlichen Partnerschaft zu vermitteln. Die Deutsche Familienstiftung hat deshalb die deutschlandweit verbreitete Geburtsvorbereitung um eine Familienvorbereitung erweitert und Themen wie realistische Erwartungen, Aufgaben- und Zeitmanagement, Stressmanagement, Konfliktmanagement, Partnerschaftspflege, Rolle der Mutter und des Vaters in der Familie, Signale des Neugeborenen integriert. Ein „matched pairs“ Vergleich an 175 Paaren zeigte positive Effekte. Die Klärung der Erstattung des Mehraufwandes ist die Voraussetzung für die Verbreitung der Geburts-und Familienvorbereitung. Eine kontinuierliche wissenschaftliche Optimierung dieses Instrumentes zur Primärprävention ist notwendig.

Einleitung

Während die Ansprüche der Gesellschaft an die Familie groß sind (Wingen, 1997) ist die Vorbereitung der jungen Menschen, die eine Familie gründen wollen, unzureichend. Weder durch die Eltern noch durch die Schule, noch durch Medien wird das dazu nötige Wissen vermittelt. Die biologisch und kulturell zugewiesene Verteilung der Aufgaben zwischen Mann und Frau endete mit der Entwicklung der hormonellen Antikonzeption. Sie ermöglichte Gleichberechtigung. Diese erhöht aber den Anspruch an die Fähigkeiten des Einzelnen partnerschaftlich zusammen zu leben.

Das fehlende Wissen, wie eine gute Partnerschaft gelebt werden soll, führt zu erheblichen Belastungen und Überforderungen, die die Eltern oft nicht meistern und in Scheidung oder Trennung resultieren. Die hohe Scheidungsrate erfährt in den letzten Jahren zwar eine Abflachung, was aber nicht für eine Stabilisierung spricht, da zunehmend viele Paare nicht heiraten und eine Trennung nicht verheirateter Paare nicht erfasst wird. Die Hälfte der Geschiedenen Kinder unter 18 Jahren. (Statistisches Bundesamt, 2014). Meist haben die Mütter nach Scheidung den Großteil der Folgen zu tragen und sind wirtschaftlich schlechter gestellt als die Väter (Heß-Meining U, Tölke A. Gender Report, BMFSFJ, 2005). Oft sind während und nach der Trennung nicht nur die Eltern psychisch erheblich alteriert, auch die Langzeitfolgen für ihre Kinder können erheblich sein (Franz, 2004).

Die Ursachen für die Belastungen am Übergang zur Elternschaft sind: Unkenntnis der neuen Lebenssituation, irrationale Erwartungen an ein Leben mit Kind, Unfähigkeit Konflikte gemeinsam zu lösen und fehlende Streitkultur. In der Folge reduziert sich die Achtung vor dem Partner, oft entsteht Überforderung. Nach der Geburt des ersten Kindes nimmt die Kommunikation und in der Folge die Zärtlichkeit zwischen den Paaren ab, Streit und Unzufriedenheit mit dem Partner nehmen zu (Fthenakis et al., 2002). Hierbei spielt der entstehende Stress eine wesentliche Rolle (Bodenmann und Cina, 2006).

Eine gute Partnerschaft der Eltern verbessert nicht nur ihr individuelles Wohlbefinden, es erleichtert auch die Bindung der Kinder, die die Basis für ihre gute Entwicklung darstellt. (Zimmermann und Spangler, 2001) (Übersicht: Grossman und Grossmann, 2009). Der Einfluss guter Bindung an Bezugspersonen ist eindrucksvoll in der „Bucharest Interventions Study“ mit Heimkindern gezeigt worden (Fox et al, 2011)

Physische und physische Gewalt, sexueller Missbrauch und Vernachlässigung werden bei schlechter Bindung häufiger beobachtet. Hat ein Kind einmal Gewalt erfahren, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass es in späterer Zeit wieder Gewalt ausübt, deutlich erhöht. Diese Spirale wird unterbrochen, wenn ein Kind die Möglichkeit zu einer guten Bindung oder später die Möglichkeit hat, mit einem Partner in einer befriedigenden Beziehung zu leben (Cierpka und Cierpka, 2012).

Integration der Vorbereitung auf die Familie in die Geburtsvorbereitung:

Die Geburts- und Familienvorbereitung

Um im Sinne einer Primärprävention Einfluss auf die beschriebene Problematik zu nehmen, muss versucht werden, die Entwicklung einer guten Bindung zu erleichtern. Schwangerschaft und Geburt sind „Episoden“ im Lebensverlauf mit potentiell hoher Gefährdung der Frau. Der Übergang zur Elternschaft ist für Mutter und Vater mit emotionalen Veränderungen verbunden und dem Gefühl, viel lernen zu müssen, um all dieses auch im Hinblick auf ihr Leben mit dem Kind zu meistern. Diese Motivation der werdenden Eltern zeigt sich in der deutschlandweit hohen Teilnahme an der Geburtsvorbereitung. Circa 70 % aller Schwangeren nehmen an der Geburtsvorbereitung teil, sowie ca. 30% der Partner (Chrzonsz, 2006). Die durch die Gesellschaft für Geburtsvorbereitung (GfG) durchgeführte Vorbereitung hat keine flächendeckende Verbreitung, da sie von den Kassen nicht erstattet wird.

Die Teilnahme der Männer ist relativ gering, wobei sie sich steigern ließe, wenn die Vorbereitung deren Bedürfnisse systematischer berücksichtigen würde.

Erfahrungsgemäß besteht vor der Geburt des ersten Kindes kein Bewusstsein für später mögliche Partnerschaftsprobleme, weshalb explizite Veranstaltungen zu diesem Thema nicht besucht werden. Inhalte zur Vorbereitung auf die Familie können in die Vorbereitung auf die Geburt implementiert werden. Die Deutsche Familienstiftung hat mit Hebammen, Pädagogen und Psychologen ein Modul aus drei Doppelstunden entwickelt, das mit der üblichen Geburtsvorbereitung von sieben Doppelstunden kombiniert wird. In den Bereich Familienvorbereitung sind die Themen: realistische Erwartungen, Aufgaben- und Zeitmanagement, Stressmanagement, Konfliktmanagement, Partnerschaftspflege, Rolle der Mutter und des Vaters in der Familie, Signale des Neugeborenen eingearbeitet.

Im Bereich Konfliktmanagement wird auf das Verfahren: Ein Partnerschaftliches Lernprogramm (EPL) (Hahlweg et al. 1994) Bezug genommen, das auch in einer Nachuntersuchung über 11 Jahre gute Resultate zeigt (Hahlweg et al, 2010). Ebenfalls fließen Informationen aus dem schweizerischen paarlife® Programm ein, das ebenfalls gut evaluiert ist (Bodenmann et al. 2009). Bezüglich des Umgangs mit dem Neugeborenen werden Auszüge aus dem Kurs Das Baby verstehen den werdenden Eltern vorgestellt. (Cierpka et al, 2004) Um die Akzeptanz der Männer zu erhöhen, ist es sinnvoll, die zusätzlichen Stunden zusätzlich mit einem männlichen Moderator zu gestalten.

Ergebnisse

Auch wenn die Instrumente, die in die Geburts- und Familienvorbereitung (G+FV) aufgenommen wurden, wissenschaftlich evaluiert sind, war es Wunsch der Initiatoren die G+FV prospektiv umfangreich zu evaluieren. Aus finanziellen konnte nur eine kleine retrospektive Untersuchung durchgeführt werden konnte.

Aus Paaren, die die G+FV besucht hatten, und Paaren, die im Geburtenbuch der Frauenklinik am Klinikum Fulda folgten und nur eine Geburtsvorbereitung besucht hatten, wurden „matched pairs“ gebildet. So wurden im Jahr 2007 175 Paare aus 37 Kursen, die in den Jahren 2002-2004 stattfanden, ausgewertet. Es hatten sich in beiden noch keine Paare getrennt. Auch war die Zahl der nachgeborenen Kinder mit 17 (GV) zu 21 (G+FV) nicht signifikant unterschiedlich. Eindeutig war aber, dass die Paare der G+FV offener waren, über Konflikte und Probleme zu sprechen. Sie konnten sich die Zeit besser einteilen und der Vater hat sich mehr eingebracht. Es gab weniger Konflikte bei Haushaltsaufgaben, Geldfragen und bei der Freizeitgestaltung. Diese Ergebnisse wurden 2007 auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für perinatale Medizin und 2013 auf dem XIII: Hebammenkongress vorgetragen (Spätling et al., 2007).

Diskussion

Auch wenn von der G+FV nicht die Lösung aller o. g. Probleme erwartet werden kann, so ist sie doch eine Interventionsmöglichkeit zur primären Prävention, die man nicht ungenutzt lassen sollte. Es muss keine neue Struktur mehr ins Leben gerufen werden, eine bestehende muss „nur“ verändert, bzw. erweitert werden. Dazu ist folgendes notwendig:

  • Hebammen müssen in der G+FV weitergebildet werden.

Dieses führt die Deutsche Familienstiftung seit dem Jahre 2008 durch. Es wurden bisher aus ganz Deutschland 66 Hebammen und Personen, die geeignet sind den Teil Familienvorbereitung durchzuführen, weitergebildet. Das Interesse an dieser Weiterbildung ist aber gering, da einerseits die Weiterbildung mit Kosten verbunden ist, die G+FV mit drei Doppelstunden umfangreicher ist als die alleinige GV und für diese Mehrarbeit von den Hebammen keine Mehrerlöse generiert werden können.

  • Eine gemeinschaftliche Auseinandersetzung der in unterschiedlichen Ministerien angesiedelten Zuständigkeiten mit dieser Interventionsmöglichkeit sollte initiiert werden.

Zuständigkeiten liegen sowohl im Familienministerium als auch im Gesundheitsministerium. Die Erstattungen werden über die Krankenkassen abgewickelt.

  • Eine Organisation und Finanzierung der Weiterbildung der Hebammen ist notwendig.

Bisher hat die Deutsche Familienstiftung die Weiterbildung organisiert. Wenn eine Honorierung der G+FV erreicht wird, ist mit einer hohen Inanspruchnahme der Weiterbildung zu rechnen, die gemeinschaftlich lösbar sein wird. Es wird davon ausgegangen, dass ca. 7000 Hebammen eine Geburtsvorbereitung anbieten (Petrus, 2014). Bei höheren Erlösen durch die Kurse können die Fortbildungskosten durch die Hebammen getragen werden. Die Weiterbildung dauert 60 Stunden, ist auf drei Wochenenden verteilt und kostet aktuell 600 €. Hebammen können durch die Teilnahme ihren Fortbildungsverpflichtungen nachkommen.

  • Eine Finanzierung der erweiterten Kurse ist notwendig.

Die Krankenkassen erstatten der werdenden Mutter 70 € für sieben Doppelstunden. Nach den bisherigen Berechnungen ist für eine durchschnittliche Kursgröße für zusätzliche drei Doppelstunden ein zusätzlicher Kostenaufwand von 110 € pro Paar notwendig. Das ist erheblich weniger als das monatliche Kindergeld für ein Kind. Eine Erstattung der Partnergebühren für die Geburtsvorbereitung muss wieder eingeführt und auf die G+FV übertragen werden, um diese Vorbereitung auf die Familie auch für die Männer effektiv zu gestalten.

  • Eine wissenschaftliche Optimierung der Inhalte und ihrer optimalen Verankerung in den „Köpfen und Herzen“ der werdenden Eltern ist notwendig.

Die Deutsche Familienstiftung hat die zu vermittelnden Inhalte nach den besten aktuellen Erkenntnissen in die G+FV einfließen lassen. Schon die aktuell durchgeführte G+FV wird von den werdenden Eltern in hohem Maße als „sehr hilfreich“ bewertet. Es besteht in Deutschland in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen Wissen, was die G+FV sowohl inhaltlich als auch unter dem Blickpunkt der Verankerung des Wissen und aktuellen Erfordernissen optimieren könnte. Hier ist ein Gremium aus Hebammen, Ärzten, Psychologen und Pädagogen zu etablieren, das konstant die G+FV begleitet und weiterentwickelt..

Die Erstellung eines Handbuches, zur G+FV, dass einerseits den Hebammen die Durchführung des komplexen integrierten Kurses erleichtert, andererseits das vermittelte Wissen versucht, zu standardisieren, ist bereits in der Konzeption.

Wenn wirklich etwas bewegt werden soll, dann ist der beschriebene Ansatz ein sinnvoller Weg. Dieses belegen auch Arbeiten des Wirtschaftsnobelpreisträgers Hackman (2007). Er beschreibt, dass Investitionen in das „Humankapital“ einen umso höheren „return on investment“ haben, je früher sie den Menschen zu Gute kommen.

Literatur

Wingen M. (1997) Gesellschaftliche Grundlagen, Ziele und Aufgaben der Familienpolitik. In: Familienpolitik. UTB, Lucius und Lucius Verlagsgesellschaft, Stuttgart, S 39-50

Statistisches Bundesamt. (2014) Scheidungsrate.

https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/07/PD14_258_12631.html   (abgerufen am 14.8.2014)

Heß-Meining U, Tölke A. (2005) Gender Report, BMFSFJ, Scheidungsfolgen https://www.bmfsfj.de/Publikationen/genderreport/4-Familien-und-lebensformen-von-frauen-und-maennern/4-7-Trennungen-und-scheidungen/4-7-2-scheidungsfolgen.html (abgerufen am 10.8.2014)

Heß-Meining U, Tölke A. (2005) Gender Report, BMFSFJ, Alleinerziehende

https://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/genderreport/4-familien-und-lebensformen-von-frauen-und-maennern.html   (abgerufen am 10.8.2014)

Franz M. (2004). Langzeitfolgen von Trennung und Scheidung. In: Egle U, Hoffmann S, Joraschky P (Hrsg), Schattauer, Stuttgart, S 116-128

Fthenakis W, Kalicki B, Peitz G. (2002). Paare werden Eltern. Die Ergebnisse der LBS-Familien-Studie. Verlag Leske und Budrich, Opladen

Bodenmann G, Cina A. (2006). Stress and coping among stable-satisfied, stable-distressed and separated/divorced Swiss couples: A 5-year prospective longitudinal study. J Divorce Remarriage, 44, 71-89.

Zimmermann P, Spangler G. (2001) Jenseits des Klassenzimmers. Der Einfluss der Familie auf Intelligenz, Motivation, Emotion und Leistung im Kontext der Schule. Zeitschrift für Pädagogik 47: 461-479

Grossmann KE, Grossmann K. (2009) Fünfzig Jahre Bindungstheorie. Der lange Weg der Bindungsforschung zu neuem Wissen über klinische und praktische Anwendung. In: Brisch KH, Hellbrügge T (Hrsg). Klett-Cotta Verlag, Stuttgart S. 12 -51

Fox NA1, Almas AN, Degnan KA, Nelson CA, Zeanah CH. (2011) The effects of severe psychosocial deprivation and foster care intervention on cognitive development at 8 years of age: findings from the Bucharest Early Intervention Project. J Child Psychol Psychiatry. 52:919-28.

Cierpka M, Cierpka A. (2012) Gewalt in der Familie In: Frühe Kindheit 0-3 Jahre. M. Cierpka (Hrsg.) Springer Verlag Berlin, Heidelberg, S 311-324

Chrzonsz E. (Ausbildungsbeauftragte des Bundes Deutsche Hebammen a.D.) (2006), persönliche Mitteilung,

Hahlweg K, Revenstorf D, Schindler L. (1994) Partnerschaftsprobleme – Möglichkeiten zur Bewältigung. Ein verhaltenstherapeutisches Programm für Paare. Springer, Berlin ISBN 3-540-10124-1

Hahlweg K, Richter D. (2010) Prevention of marital instability and distress. Results of an 11-year longitudinal follow-up study. Behav Res Ther. 48:377-83

Bodenmann G. www.paarlife.ch (abgerufen am 21.8.2014)

Bodenmann G, Bradbury T, Pihet S. (2009) Relative Contributions of Treatment-Related Changes in Communication Skills and Dyadic – Coping Skills to the Longitudinal Course of Marriage in the Framework of Marital Distress Prevention. J Divorce Remarriage. 50:1–21

Cierpka M, Gregor A, Frey B. (2004) Das Baby verstehen. Verlag Karl Kübel Stiftung. Kontakt www.focus-familie.de (abgerufen am 21.8.2014)

Spätling L, Richter R, Chrzonsz E. Familienführerschein–Integration familienvorbereitender und partnerschaftsstabilisierender Elemente in die Geburtsvorbereitung. Z Geburtshilfe Neonatol 2007; 211 – FV_11_05

Petrus U. (Ausbildungsbeauftragte des Bundes Deutsche Hebammen), persönliche Mitteilung, 2014

Heckman J, Masterov D. (2007) The Productivity Argument for Investing in Young Children, Review of Agricultural Economics. 29: 446–493

Prof. Dr. Ludwig Spätling
Vorstand der Deutschen Familienstiftung
Direktor der Frauenklinik, Klinikum Fulda a.D.
Gallasiniring 8, 36043 Fulda
l.spaetling@deutsche-familienstiftung.de